Industrie 4.0 in Deutschland

Industrie 4.0 in Deutschland
Wie mit RFID und NFC die Digitalisierung industrieller Wertschöpfung gelingt

Gastbeitrag von Dr. Marc-Oliver Reeh, Geschäftsführer des Center for NFC Management in Hannover

Für die positive Entwicklung eines Unternehmens wie auch einer Volkswirtschaft insgesamt sind Aufkommen und Verbreitung technologischer Innovationen unabdingbar. Die vergangenen Jahrzehnte liefern hierfür eine Vielzahl bekannter Beispiele. Seit ein paar Jahren schon heißt der Hoffnungsträger nun Industrie 4.0 (I4.0). Alles wird miteinander vernetzt, alles wird smart, alle profitieren. In Anlehnung an die Neue Institutionenökonomik bzw. die Informationsökonomik verringern sich in diesem Zuge die Kosten für die Informationsbeschaffung, intraorganisationale Informationsasymmetrien nehmen ab, die Effizienz der Unternehmung im Wettbewerb steigt und finden sich entsprechende Adaptionseffekte in einer ganzen Branche lokal wieder, haben wir die I4.0 erreicht. Soweit die Theorie.

Industrie 4.0 – „Wachstumsrakete Made in Germany“

Doch so richtig durchstarten will die Wachstumsrakete Made in Germany noch nicht. Fragt man 100 Entscheider, welche Maßnahmen sie unter dem Begriff I4.0 subsumieren, erhält man mindestens genauso viele verschiedene Antworten, inklusive der Aussage „Keine Ahnung“. Die Digital Divide macht also auch und gerade vor den Vorstandsetagen nicht halt. Die Big-Four der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Management Consulter haben diese Opportunity für sich erkannt und in den vergangenen 36 Monaten weltweit zehntausende neue Mitarbeiter eingestellt, die fortan als Digital Transition Manager große wie kleine Unternehmen bei der Digitalisierung unterstützen möchten. Allerdings werden die ersten Junior-Berater dem Transfermarkt bereits wieder zurückgeführt, bleiben nachhaltig fakturierbare Beratungsprojekte doch zu häufig aus.

Wie und warum RFID?

Denn der in der Konzeption gemachte und fortan in diversen Branchen gelebte Fehler vieler I4.0-Protagonisten lautet: I4.0 ist kein PR-Sprint mit Quick Wins, I4.0 ist ein IT-Marathon, der zunächst eine solide, technische Basis benötigt. Getreu dem Statement „Daten sind das neue Öl“ ist RFID (Radio Frequenz IDentification) dabei eine elementare Schrittmachertechnologie. RFID dient der digitalen Vernetzung beliebiger Objekte, bietet eine Grundlage für Sensorik und Aktorik und erhöht insgesamt die Visibilität von Produktions- und Warenströmen. Sinnvoll, bzw. überhaupt möglich, wird die Digitalisierung der Industrie und damit die I4.0 folglich erst, wenn eine hinreichend große Produktanzahl anschlussfähig ist und Informationen über sich selbst sowie die eigene Prozessumgebung mit anderen Produktionseinheiten teilt. Die Überführung von RFID-Systemen in gewinnbringende Unternehmensaktiva ist leider zumeist nicht binnen Jahresfrist zu erreichen. Als Basisinvestition in eine smarte, medienbruchfreie Systemumgebung ist sie indes unabdingbar.

RFID und NFC sind Technologien mit Geschichte

Zu erwähnen ist, dass RFID kein schnelllebiger, kurzer Hype, ja nicht einmal eine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist. Mit ersten Anfängen in den 1940er-Jahren und umfangreichen Weiterentwicklungen in den 1980ern, führte die voranschreitende Miniaturisierung, die Verbesserung der Energieeffizienz und schlussendlich die damit verbundene Leistungssteigerung zu ökonomisch sinnvollen und technisch robusten Einsatzmöglichkeiten. Die automatische Objektidentifikation und Machine-to-Machine-Kommunikation auf RFID-Basis ist im B2B-Umfeld sozusagen ein erfahrener, kalkulierbarer Dauerläufer. NFC, Abkürzung für Near Field Communication und manchem Verbraucher im Zusammenhang mit dem Thema Mobile Payment bekannt, stellt in diesem Szenario nur eine Speziallösung dar, da stets manuelles Eingreifen bzw. Hinzutun durch den Anwender erforderlich ist. In der Interlogistik und dem Supply Chain Management haben RFID-Systeme hingegen mittlerweile neue Leistungsstandards definiert und sind nunmehr horizontal wie vertikal auf der Suche nach kompatiblen Teilmärkten.

RFID und NFC brauchen Digitale Infrastruktur

Das Potenzial der I4.0 und ihres Nachfolger-Sujets, dem Internet der Dinge, lässt sich dementsprechend nur heben, wenn wir weitverteilte IKT-Systeme in Produktion, Prozesse und Produkte integrieren und miteinander auf Artikelebene via RFID vernetzen. Die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt und deren schrittweise Überführung in eine digitale Wirtschaft bietet ein vielleicht nicht exakt bezifferbares und somit risikobehaftetes, aber zweifelsfrei hochattraktives Erlöspotenzial. Gegebenenfalls bedarf es hierfür auch einer Neustrukturierung einzelner Produktionsbereiche sowie der dahinterliegenden Geschäftsmodelle. Agile Startups zeigen großen Marktteilnehmern indes immer wieder, wie schnell sich etablierte Geschäftsmodelle disruptiv angreifen lassen. Wer sich dagegen schützen möchte, sollte alsbald anfangen, Investitionen in die smarte IT- bzw. RFID-Infrastruktur zu tätigen und mit dem (neben soziotechnischen auch organisatorischen, unternehmenskulturellen und gesellschaftlichen) Lauftraining beginnen.

Mit smarten RFID-/NFC-Systemen eigene Datenquelle schaffen

Der Forderung nach zunächst noch mehr Datenquellen kann natürlich entgegengehalten werden, dass wir bereits jetzt über Unmengen an Daten verfügen, deren korrekte Interpretation und Überführung in anwendbares Wissen als Business Intelligence alles andere als trivial ist. Doch die Frage, die sich jeder Entscheider zum Schluss stellen muss, lautet: Wem gehören diese Daten eigentlich? Die in der Cloud bei Google, Amazon & Co. (nach wie vor erfolgreiche Vorreiter bei der Entwicklung digitaler Erlösmodelle) gesammelten Informationen über Kunden, Wettbewerber und potenzielle Absatzmärke müssen heimische Unternehmer teuer einkaufen. Mit smarten RFID-/NFC-Systemen hingegen können eigene, mobile Informationsnetze generiert, sichere IT-Ökosysteme geschaffen und neue Wertschöpfungsnetzwerke umgesetzt werden.

Über den Autor:

Konterfei Marc-Oliver Reeh 300dpiDr. Marc-Oliver Reeh ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler mit über 10 Jahren Erfahrung in der Beratung von großen und mittelständischen Unternehmen aus Branchen wie Industrie, Handel und Dienstleistungen. Er ist ausgewiesener Experte für Mobile Business Applikationen auf Basis innovativer Kommunikationstechnologien. Zu seinen projektbezogenen Aufgabenfeldern als Geschäftsführer des Center for NFC Management zählen Funktionsbereiche wie Business Development und Innovationsmanagement.

Digitalisierung fassbar machen

Digitalisierung fassbar machen
Kommentar von Elmar Niederhaus

Elmar Niederhaus_IMG_1655 Das Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie und die Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf luden am 17. Februar 2016 zum 4. Düsseldorfer Forum Ordnungspolitik auf den Campus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ein. Unter der Leitung von Prof. Justus Haucap, Direktor des Instituts, und Klaus Zimmermann, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, stand in diesem Jahr „Wettbewerb und Digitalisierung“ im Mittelpunkt.

Digitalisierung – die große Herausforderung
Digitalisierung fassbar machen. Das ist wohl derzeit die große Herausforderung. Was meint fassbar machen? Aus meiner Sicht versuchen alle, die sich mit Digitalisierung beschäftigen, ein Stück weit „Kontrolle“ zu gewinnen. Wir sehen die Auswirkungen von Digitalisierung. Wir erleben täglich, was sie mit uns macht. Wenn wir glauben, verstanden zu haben, was Digitalisierung für uns bedeutet, dann kommt schon das nächste Ereignis heran und zeichnet uns ein Fragezeichen ins Gesicht.

Wettbewerb und Digitalisierung
Dem 4. Düsseldorfer Forum Ordnungspolitik zu „Wettbewerb und Digitalisierung“ ist es aus meiner Sicht gelungen, diese Unsicherheit etwas zu reduzieren. Der Fokus lag auf der Frage lag, was denn die wettbewerbspolitischen Herausforderungen der Digitalisierung sind. Im Verlauf der Diskussion zeigte sich sehr schnell. Die Dynamik der Praxis treibt die Digitalisierung, also den Prozess der Gestaltung digitaler Kommunikation, mit enormer Geschwindigkeit. Das macht es schwer, Schritt zu halten. Wir müssen wohl noch intensiver, vielleicht mit neuen Methoden und Ansätzen sowie fächer- und branchenübergreifend die Digitalisierung wahrnehmen, wenn wir sie nicht nur in Teilen, nicht nur rudimentär, sondern möglicher Weise in Gänze fassbar machen wollen.

Digitale Wirtschaft
Wer heute zu digitale Wirtschaft spricht, der kommt sehr schnell in die Situation, eine Antwort auf die Frage zu geben, was denn „Digitale Wirtschaft“ überhaupt ist. Gibt es irgendwelche Merkmale, rechtliche Aspekte oder gar betriebswirtschaftliche Kennzahlen? Kann man sagen, die „Digitale Wirtschaft“ sei eine Branche, ein Zweig der Wirtschaft, wie beispielsweise die Energiewirtschaft oder die Finanzbranche? Bei diesen beiden Branchen ist es einfach. Unternehmen, Dienstleister der Energiewirtschaft erzeugen und verteilen Strom, stellen Dienstleistungen zur Nutzung von Energie bereit. Akteure der Finanzbranche unterstützen Unternehmen mit Krediten und entwickeln und vertreiben Produkte und Dienstleistungen zum Beispiel für den privaten Vermögensaufbau.

Aber wie sieht das mit „Digitale Wirtschaft“ aus? Kann beispielsweise Big Data ein Merkmal einer Industrie 4.0 sein und gibt dies einen Hinweis darauf, was eine digitale Wirtschaft ist?

Disruptives Denken
Wenn die Digitalisierung als Prozess der Gestaltung digitaler Kommunikation heute in besonderer Weise disruptiv ist, dann werden wir sie nur fassen können, wenn unser Denken disruptiv ist.

Disruptives Denken macht Digitalisierung fassbar!

Über den Autor
Elmar Niederhaus ist Politologe mit dem Fachgebiet Politische Kommunikation. Er ist spezialisiert auf Analyse und Gestaltung von Machtbeziehungen in Politik und Wirtschaft. Sein Schwerpunkt ist Politische Kommunikation zur Digitalisierung der Industrie 4.0. Als Initiator und Leiter des Projektes Leadership für Politik und Wirtschaft bloggt und veröffentlicht er Bücher zu Digitalisierung und Leadership in Change-Prozessen.